"Fürsorglicher" Ratsiraka - oder: In welche Taschen europäische Hilfsgelder fließen

Madagaskar verbietet Einfuhr von Gebrauchtbrillen

18. Juni 2001 FAZ - Sirenen werden heulen und Glocken läuten. Auch die Madegassen im abgelegensten Dorf der Insel sollen wissen: Gefahr ist im Verzug und das Augenlicht in Gefahr, wenn sich am 21. Juni zwischen 15.30 und 17.30 Uhr der Mond vor die Sonne schiebt und die Menschen in Angola, Sambia, Malawi, Mosambik und Madagaskar die erste Sonnenfinsternis des neuen Jahrtausends erleben.

Ungeschützt kann der Anblick des Spektakels schlimmstenfalls zu Blindheit führen. Deswegen kündigte Präsident Didier Ratsiraka bereits vor Wochen an, dass alle 15 Millionen Einwohner des vor Afrika gelegenen Eilands die Sonnenfinsternis durch schützende Spezialbrillen beobachten können sollen. Er rief die "Operation Brillen" aus.

"Operation Brillen"

Der Präsident, selbst an einer unheilbaren Augenkrankheit leidend, unterzeichnete ein Dekret, das die Brillen aus Pappkarton und Spezialfolie einem Medikament gleichstellt. Die "Operation Brillen" fiel damit in die ausschließliche Zuständigkeit des Gesundheitsministeriums und die Einfuhr von Gebrauchtbrillen aus Europa wurde verboten.

Dabei hatten Entwicklungshilfeorganisationen sich bereits bei der letzten Sonnenfinsternis im August 1999 in Europa Gedanken gemacht, wie die Afrikaner 2001 ohne Schaden das Spektakel überstehen können. So sammelte beispielsweise Oxfam nach dem 11. August 1999 in Deutschland die gebrauchten Schutzbrillen ein, um sie in Afrika zu verteilen.

Europäische Hilfsgelder

Aber die Regierung Madagaskars steckte lieber rund sechs Millionen Mark europäischer Hilfsgelder, die eigentlich für Arzneien vorgesehen waren, in die Produktion der Brillen und beauftragte einen französischen Konzern, drei Millionen Schutzbrillen zu fertigen. Firmen in Frankreich und Amerika erhielten Aufträge für weitere zwölf Millionen Stück.

Schüler, Soldaten und extrem Arme bekommen die Brillen umsonst, alle anderen müssen sie für umgerechnet 90 Pfennige kaufen. Unter dem Deckmantel der öffentlichen Gesundheitsvorsorge organisierte sich der Staat (sprich: Ratsiraka) so ein einträgliches Geschäft. Und ein sicheres noch dazu, denn kein anderer Anbieter erfüllte die staatlichen Auflagen für den Brillenverkauf. Dass es vor allem um ein Zubrot für die Mächtigen geht, zeigt schon die Tatsache, dass die Gesundheit der verarmten Madegassen der Regierung in Antananarivo eigentlich relativ egal ist. 5.000 Menschen starben in den vergangenen zwei Jahren an Cholera, weitere Tausende fallen jährlich Malaria oder auch der Immunschwächekrankheit Aids zum Opfer.

Gigantische Werbekampagne

Gefördert wird der dubiose Deal mit den Spezialbrillen durch eine für madegassische Verhältnisse gigantische Werbekampagne. Radio und Fernsehen senden ununterbrochen Reklamespots, Werbeplakate werden selbst in den abgelegensten Dörfern aufgehängt. Eine Gruppe Radfahrer wurde auf Mund-zu-Mund-Propaganda-Tour geschickt, damit auch die vielen Analphabeten über die Gefahren der sich verdunkelnden Sonne Bescheid wissen. Dennoch scheint sich die Mehrheit der Madegassen wenig für das astronomische Phänomen zu interessieren, sie haben weit wichtigere Probleme.