Kirche als Anwältin der Armen

Madagassische Christen hoffen auf Wahlsieg "ihres" Kandidaten

Von KNA-Mitarbeiterin Hilde Regeniter

"Wir lagen vor Madagaskar ..." Fast jeder Deutsche kennt dieses Lied. Aber kaum jemand weiß, wo sich diese viertgrößte Insel der Welt überhaupt befindet. Sie liegt 400 Kilometer östlich von Mosambik und beherbergt mehr als 15 Millionen Einwohner, überwiegend Nachfahren ostafrikanischer und vor allem malaiisch-indonesischer Einwanderer. Am 16. Dezember stehen in dem stark unterentwickelten Inselstaat Präsidentschaftswahlen an. Die Kirche - stark an der Seite der Armen engagiert - wirbt für ihren Favoriten.

Pater Raymond Rambatoson, Pfarrer in der Hauptstadt Antananarivo und Leiter eines Entwicklungsprojektes, findet klare Worte: "Der Wunsch-Präsident der Christen in Madagaskar heißt Marc Ravalomanana." Er ist einer von sechs Kandidaten. Als Bürgermeister der Hauptstadt hat der praktizierende Protestant das Vertrauen vieler Madagassen für sich gewonnen. Örtliche Zeitungen prognostizierten Marc Ravalomanana in der eigenen Stadt über 70 Prozent der Stimmen.

Nicht nur die Christen Madagaskars trauen ihm noch am ehesten zu, ihre Heimat auf dem Weg aus der Unterentwicklung ein Stück voranzubringen. Der Inselstaat vor der ostafrikanischen Küste gehört mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von nur 250 Dollar zu den 10 ärmsten Ländern der Welt. Jesuitenpater Raymond befürchtet, dass der jetztige Präsident Didier Ratsiraka nicht vor Wahlmanipulationen zurückschrecken wird, um sich den Verbleib an der Macht zu sichern. Er hatte bereits von 1975 bis 1994 als Diktator die Insel beherrscht, später als halbdemokratisches Staatsoberhaupt.

Die Kirche in Madagaskar, unterstreicht Pater Raymond, steht auf der Seite der Armen. Rund 41 Prozent der Madagassen sind Christen. Sie erwarten von den Kirchen ganz praktische Hilfe im täglichen Kampf ums Überleben. Noch immer wirkt die Kolonialzeit nach, die 1960 zu Ende ging: Französisch ist neben dem Madagassischen offizielle Amtssprache. Nach Abzug der Franzosen folgten Regierungen sozialistischer Prägung und eine Militärdiktatur, bis 1992 in Madagaskar die präsidiale Republik begründet wurde. Allen Widerständen zum Trotz unterstützen die christlichen Kirchen seit Jahrzehnten die Demokratisierungsbestrebungen.

Für Pater Raymond gehören die aktive Mitgestaltung der Gesellschaft und die pastorale Arbeit untrennbar zusammen. Daher setzt er in seiner Hauptstadt-Gemeinde Faravohitra beispielsweise auf die Ausbildung junger Leute, die später als Lehrer in die vielen kleinen Orte der Provinz geschickt werden sollen. Er organisiert Materialien wie Bücher, Videos und Computer, um die zukünftigen Lehrer auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Bildung und medizinische Grundversorgung in die Dörfer tragen und so langfristig der Landflucht entgegenwirken - das sind die Hauptanliegen der katholischen Entwicklungsarbeit. Denn Migration in die Stadt gehört zu den großen Problemen der Insel, Landflüchtlinge landen meist in den Elendsvierteln Antananarivos.

Dort brechen dann viele Familien auseinander, berichtet Pater Raymond. Die Frauen können die Rückkehr in ihre Dörfer für sich und die Kinder nicht finanzieren. Die Familie ist aber die Grundlage der madagassischen Gesellschaft, bei der auch die seelsorgerische Arbeit ansetzen muss. Als Schlüsselbegriff seiner Pastoral nennt Pater Raymond die Inkulturation, also den Versuch, die christliche Botschaft in einheimische Denk- und Sprachformen zu übersetzen. Statt etwa den madagassischen Ahnenkult als heidnisch zu verdammen, gilt es ihn mit der christlichen Vorstellung von der Gemeinschaft zwischen Lebenden und Toten zu füllen. Pater Raymonds große Hoffnung ist, dass die Kirche als Anwältin der Armen ihren Beitrag zu gerechteren politischen Verhältnissen und damit zu einer lebenswerten Zukunft leisten wird.