Der Schrei der Armen gegen das Schweigen Frankreichs

von Pater Pedro Opeka,

" Association Humanitaire Akamasoa "

Für 75% der Bevölkerung Madagaskars ist das tägliche Überleben so ungewiss, dass eine Menge Energie von allen in der sozialen Reintegration und für die Menschenwürde tätigen Menschen, von Menschen mit gutem Willen, von Missionaren, von nationalen und internationalen humanitären Hilfsorganisationen, benötigt wird.

Seit 30 Jahren lebe ich in Madagaskar, aber eine solche schwere Krise wie in den letzten Monaten habe ich auf der Insel noch nicht erlebt. Da ich mich in dem sozialen und humanitären Kampf zugunsten der Ärmsten und Schwachen engagiert habe, fühle ich mich gezwungen, meine Stimme für den Frieden zu erheben, um das wirtschafltiche Chaos einer ganzen Nation zu verhindern, einer Nation, die sehr gastfreundlich und friedlich ist.

Die Situation verschlimmert sich und das Leid derjenigen, die noch nie ein normales Leben erlebt haben, nimmt ständig zu. Das Desaster erscheint bereits am Horizont und wir werden die Schuldigen sein, wenn wir uns hinter stereotypischen Sätzen verstecken, die uns für unsere neutrale Position in einem Konflikt, worum es um die Zukunft einer Nation geht, um die Demokratie und um eine richtige und gerechte Entwicklung, entschuldigt.

Die madagassische Bevölkerung kann sich nicht erklären, warum die französische Presse ihre populäre und revolutionäre Bestrebung nicht verstanden hat.

Bei den letzten Präsidentschaftswahlen am l6 Dezember 2001 votierte die madagassische Bevölkerung für einen Regierungswechsel, da die Regierenden in Korruption und Vetternwirtschaft schwelgten. Das alte Regime hat sich in den 22 Jahren Regierung überhaupt nicht bemüht, die soziale Gerechtigkeit wiederherzustellen, die Armut zu verringern und neue Stellen für die jährlich 200 000 auf den Arbeitsmarkt neu hinzukommenden jungen Madagassen zu schaffen.

Nach vier Monaten Demonstrationen, Streik und politischer Krise kam ein Hoffnungsschimmer, als der scheidende Präsident, Didier Ratsiraka, und der neue Präsident, Marc Ravalomanana, unter der Vermittlung der Afrikanischen Einheit und des senegalesischen Präsidenten, Abdoulaye Wade, ein Abkommen in Dakar unterzeichneten. Nach diesem Abkommen von Dakar schwand sehr schnell der Hoffnungsschimmer, da die Hauptklauseln von Amiral Didier Ratsiraka nicht respektiert wurden. Wie kann man sich tatsächlich die Handlungen eines Ex-Präsidenten erklären, der sich auf diese Weise an der Macht festhalten will? Wie kann man die unmenschlichen Sanktionen verstehen, die er einem Volk zufügt, das es "gewagt" hatte, gegen ihn zu votieren?

Bürger werden ermordet, die Bevölkerung in den Provinzen werden ohne Zeugen terrorisiert, die Hauptstadt und die Hochebene werden eingeschlossen, Brücken werden gesprengt, um die Kommunikation von Menschen und den Transport von Gütern zu verhindern, der nationale und lokale Rundfunk wird mundtot gemacht. Ein ganzes Land wird als Geisel genommen und erstickt durch den Mangel an Medikamenten, an Treibstoff und an lebenswichtigen Gütern. Kinder und Kranke sterben überall auf der Insel in einer vollkommenen Gleichgültigkeit.

Kein einziges Land verteidigt sie wirklich! Wo bleibt die internationale Solidarität?

Ein Bürgerkrieg ist ausgebrochen. Es gab bereits 90 Tote und einhundert Verletzte. A propos "Bürgerkrieg", es handelt sich eher um einen Konflikt von Kriegschefs, in dem jeder seine Partisanen hat. Es gibt tatsächlich einerseits einen nicht anerkannten Präsidenten, der von einigen Söldnern gefolgt wird ; andererseits gibt es einen neu gewählten Präsidenten, der von der ganzen Bevölkerung anerkannt ist.

Das madagassische Volk ist von Natur aus friedlich und will weder den Bürgerkrieg noch den ethnischen Kampf. Wenn wir die derzeitige Situation akzeptieren würden, würden wir in die dunkelsten Epochen der Menschheitsgeschichte zurückfallen. Es geht darum, die Demokratie und die soziale Gerechtigkeit für alle zu retten.

Nach den Wahlen und in Folge der Überprüfung der durch das Verfassungsgericht, das vor fünf Jahren Didier Ratsiraka investiert hatte, veröffentlichten Ergebnisse, gibt es keinen Zweifel am Sieg von Marc Ravalomanana. Im Namen welchen Prinzipes soll man demnach ein neues Referendum verlangen, das die auf der gesamten Insel ausgedrückte Wahl der madagassischen Bevölkerung verleumdet. Würden Sie in Frankreich oder in irgendeinem anderen demokratischen Land einen Präsidenten 27 Jahre lang an der Macht akzeptieren, der die Macht hat und über Leben und Tod seiner Bürger je nach seinem Willen entscheidet.

Es ist weder richtig noch gerecht, beide Präsidenten gleichzustellen. Der eine wurde demokratisch gewählt, Marc Ravalomanana, und der andere, nicht anerkannt, will aufgrund seines Eigensinnes und Größenwahns das Verdikt des Volkes nicht anerkennen.

Vor diesen durch die internationale Presse vorgetragenen Tatsachen versteht man das Schweigen Frankreichs nicht, das Land, das Madagaskar am nächsten steht. Tausende von in Madagaskar lebenden Franzosen und unmittelbare Zeugen unterstützen den Willen zur Veränderung, wie die Association AVANA, und weitere hunderttausende Madagaskar liebende Franzosen leiden unter der unklaren Position ihrer Regierung.

Dieses Zögern der französischen Regierung ermutigt sehr zur Gewalt, zur Bildung von Milizen und zur Festigung der wirtschaftlichen Blockaden. Die madagassische Bevölkerung hat deshalb den Eindruck, dass Frankreich das alte Regime unterstützt, da sie dessen ungesetzliche Überforderung nicht öffentlich verurteilt. Die afrikanischen Brüder haben ihr Möglichstes mittels der Afrikanischen Einheit getan.

Es ist jetzt Zeit, dass Frankreich und die Europäische Staatengemeinschaft diese ablöst und die umgehende Beendigung der wirtschaftlichen Blockade und der terroristischen Akten des alten Regimes verlangt, die in Dakar tatsächlich unterzeichnet wurde. Durch welches Recht im dritten Jahrtausend erlaubt sich noch der Amiral die Verfassung seines eigenen Landes, die Menschenrechte und das auf höchstem Niveau durch die Afrikanische Einheit, die Vereinten Nationen und Frankreich vermittelte internationale Abkommen zu verhöhnen, ohne dass es eine Verurteilung durch die großen Staaten gäbe, welche die Demokratie in der Welt garantieren?

" Ist es etwa eine Ehre für die internationale Diplomatie, in der Verurteilung und Nennung derjenigen, die die Menschenrechte in Madagaskar verletzen, zu zögern? Gibt es versteckte wirtchaftliche Interessen oberhalb des Friedens und des Rechtes eines Volkes, sich in den Wahlen für einen politischen und sozialen Wechsel eines ganzen Landes zu votieren ? "

Wird Frankreich, das Land der Demokratie und der Menschenrechte, diesem bedrohten Volk, das sie um eine öffentliche Entscheidung bittet, Rettung bringen ?

Wird Frankreich als Asylland später alle empfangen, die eine friedliche Bevölkerung ohne Waffen mit Tortur geplagt, gemordert und terrorisiert hat oder wird Frankreich es unterstützen, dass diese Leute durch den Internationalen Gerichtshof verurteilt werden, wie es sich eigentlich gehört ?

Diese durch den Zivilkrieg stets bedrohte madagassische Krise braucht die Intervention befreundeter Länder, die im Sinne des Friedens und der Versöhnung handeln, und nicht durch Waffentransport wie bestimmte verdächtigte Länder, die Kampfflugzeuge nach Toamasina geschickt haben, Rückzugsgebiet des Ex-Präsidenten. Dieser neue Mordkonflikt in Madagaskar ist eine verrückte Idee und gehört der Vergangenheit. Konflikt, der sicherlich Auswirkungen in Frankreich und Europa haben wird.

Ich treibe nicht dazu, dem neuen Präsidenten Marc Ravalomanana, der es versprochen hatte, Armut und Korruption schneller zu bekämpfen, neue Stellen zu schaffen und Straßen zu bauen, freie Hand zu geben. Lassen wir ihm seine Aufgaben fünf Jahre lang erledigen und lassen wir den Madagassen ihr Recht auf eine demokratische Veränderung.

Genf, den 18. Mai 2002

Übersetzung Sarah Heydenreich